Dienstag, 14. Juni 2016

Noch ein Glas

Noch ein Glas, ich denke an dich. In Problemen zu ertrinken und die Probleme zu ertränken, in Alkohol und dem Blut, das ich aus meinen Wunden lecke, ist derzeit mein Alltag. Wie konnte aus mir so etwas werden ? Traurig, aber wahr, manchmal taste ich meinen Hals oder meine Handgelenke ab und hoffe keinen Puls zu spüren, während mir mein Herz schmerzend in der Brust hämmert. Das ist ein echt ekliges Gefühl, besonders in schlaflosen Nächten, in denen ich auf der linken Seite liege und mein Herzschlag, entgegen dem Takt der Uhr, mich wach hält. Es fühlt sich an als fließt die Zeit rückwärts. Ich beobachte die Zeiger auf dem Ziffernblatt. Wie der Große dem Kleinen davonrennt, nur um wieder bei ihn anzukommen und den Lauf von vorne beginnen zu lassen. 
Noch ein Glas, ich vergesse mich. Wie konnte ich nur so werden ? Wie konnte ich mich gehen lassen und wer bin ich ? 
"Schau mir ins Gesicht !", kurze Pause. Stille. "Sag mir wer ich bin", kurze Pause, "BITTE !", schreie ich in den Spiegel. Stille, ich breche zusammen, der Aufschlag meiner Knie auf dem Boden erfüllt den Raum. Mit den Händen vor meinem Gesicht hocke ich wimmernd vor meinem erbärmlichen Spiegelbild. Verloren ist die Arroganz von früher, in denen ich mit vor Stolz geschwellter Brust der Meinung war in einer Menge von tausenden allen überlegen zu sein. Nun bin ich alleine, ganz alleine, und fühle mich als sei ich der Schwächste im Raum. 
Noch ein Glas, ein kurzer Moment der Reue über den letzten Schluck und ich kotze den ganzen billigen Whiskey von heute Abend aus. Verschwommen schaue ich in die verschimmende Pfütze, Resignation, wieso sollte ich mich jetzt noch dagegen wehren ? Ich finde heute nichtmehr die Kraft und Motivation mich von dem Fleck weg zu bewegen. Also noch einen Schwall auskotzen und mich auf das Kopfkissen aus unverdautem Dosengulasch betten. Gute Nacht.
Ich liege links, mein Herz schlägt in einem unrythmischen Takt. Mein Kissen stinkt, und ich bleibe wach die ganze Nacht.
Wo bist du nur hin ? Mein erster Gedanke am Morgen. Ich find diesen Gedanken unerträglich, ich finde mich unerträglich. Mit dem Handrücken wische ich mir die Kotze aus dem Gesicht und spucke aus. Ein fader, saurer und einfach widerlicher Geschmack breitet sich auf meinen Geschmacksknospen aus. Ich würde mir am liebsten die Zunge aus der Fresse reißen. Vielleicht hilft aber auch ein Schluck Whiskey, schlimmer kann es eh nicht werden. Ich bin ein Stück Dreck.
Ich stehe wieder vor dem Spiegel, "du erbärmlicher Haufen Dreck. Du siehst scheiße aus, du stinkst, du bist nutzlos.", nutzlos ? Es tut immer gut sich morgens Selbstvertrauen einzureden.
Ich denke an dich. Anfangs gab ich mir die Schuld, daran, dass du weg bist, daran, dass ich langsam verrotte, innerlich und äußerlich, daran, dass ich mir selbst die Haut wund und blutig kratze und beiße, wie ein verrückter Hund, daran, daran, was auch immer, ich habe mir die Schuld gegeben. Doch wozu ? Das habe ich mich gefragt, gleich nachdem ich an dich denken musste. Und so langsam denke ich immer mehr an dich, du hast mich verlassen, mich aufgegeben, bist weggelaufen, hast meine Träume zerstört, hast unsere Träume zerstört, aber viel schlimmer noch : du hast meine Träume zerstört. Da ist sie wieder, ein Funken Arroganz, einen kleinen Moment lang bin ich die Mitte meines Weltbildes, ein perfektes Selbstbild, stark und unabhängig in einer verzweifelten Abhängigkeit an den Gedanken an dich. Und du hast mich zurück gelassen. Hast gesagt wir sehen uns, hast mich dabei angelächelt. Seit wann entscheidest du über mein Leben ? Vielleicht will ich dich gar nicht sehen ?
Noch ein Glas, warum belüge ich mich selbst ? Ich denke so oft an dich, dass ich für ein Wiedersehen dir immer aufs Neue hinterher rennen würde wie der Große Zeiger dem Kleinen. Bin ich Hase oder Igel ? Wer bin ich ?
"Sag es mir !", Ich sinke früher als gewöhnlich vor dem Spiegel auf den Boden. "Schau mir ins Gesicht !", kurze Pause, Sag mir wer ich bin", kurze Pause. Stille. "BITTE !", ich schreie, in der Hoffnung meine Gedanken nichtmehr hören zu müssen.
Noch ein Glas, eine Antwort bekomme ich eh nicht. Von Tag zu Tag habe ich mehr Angst vor dem Nebel in meinem Kopf. Er erlaubt mir immer seltener an dich zu denken.
Er führt mich in die Einsamkeit, wo ich mir selbst am nächsten bin, seit du fort bist. Ich bin allein, ich vermisse dich.

Sonntag, 5. Juni 2016

Der rote Faden

Ich folge ihm, bin sein Schatten, seine Begleitung, seine Gesellschaft. Auch wenn ich es vermeide mich ihm zu zeigen, und doch weiß er, dass ich ihm folge. Er ist nett, nicht zu mir, sondern zu anderen. Eine sehr höfliche Person, grüßt freundlich jeden den er kennt, gibt immer mehr Trinkgeld als notwendig und spendiert seinen Frauengeschichten immer das Essen. Sehr wohl erzogen.
Warum folge ich ihm ? Weil er es mir so schön leicht macht und weil es tausendmal interessanter ist als nichts tun. Ich finde rote Fäden auf seinem Weg, die an Ästen von Bäumen oder Straßenlaternen oder Ampeln oder Türgriffen gebunden sind und finde ihn immer wieder. Und ich folge ihm und sammle die Fäden. Ich knote sie aneinander und drehe mir einen Strick. Ein dickes rotes Seil. Ein Gürtel ist es mir, trage ich das Seil um die Hüfte gebunden und habe es dort nahe und leicht die neuen roten Fäden einzuknoten, sodass der Strick immer länger und länger wird. Einen Stalker nennen sie mich, Verfolger, die Kinder nennen es Spion spielen, und er weiß, dass ich ihm folge, aber er ist nett, er verurteilt mich nicht. Er nennt mich stiller Freund, unsichtbarer Freund, er weiß nicht wie ich aussehe. Ich glaube, er weiß auch, dass ich es bin, der seine Fäden sammelt. Bin ich also ein Stalker ? Ein Verfolger ? In seinen Augen also eher ein Freund mit der Gabe des Sammlers. Und der Strick wird länger und länger, je mehr Zeit vergeht. Was sind schon Tage, wenn ich ihm folge oder Monate. Wie lange folge ich ihm schon ? 1 Jahr 3 Monate 11 Tage und 2 Stunden. Weiß ein Stalker die genaue Zahl ? Vermutlich ja. Damals am 15.Mai hab ich ihn auf einer Restaurantterrasse sitzen sehen, alleine an seinem Tisch. Und als er bezahlen wollte, fiel mir der lange rote Faden auf, mit dem sein Geldbeutel an der Hose fest verbunden war, ich beschloss ihm zu folgen. Es ist der rote Faden. Er zieht sie, die Fäden, also mehrere, hinter sich her und bindet sie an seinem Weg fest, und die Faden ziehen mich hinter sich her, ich sammel sie und folge ihm. Anfangs dachte ich die roten Fäden wären sein Hänsel und Gretel Trauma, doch ich glaube er tut das für mich, an irgendetwas muss man ja glauben.
Und heute kehrt er wieder in dieses Restaurant zurück und setzt sich an seinen Stammtisch. Er isst hier häufiger, warum fühlt es sich heute besonders an ?
Als er seinen Geldbeutel aus der Hosentasche holt um zu zahlen, fällt es mir auf. Wo ist der Faden ? Er hat keinen roten Faden an seinem Geldbeutel ? Soll das ein Witz sein ? Gleich kommt es, er holt bestimmt gleich den Faden aus der anderen Hand hervor und grinst in die Umgebung, nicht wissend wo ich bin. Das muss ein Scherz sein. Oder er hat den Faden schon unauffällig auf den Tisch gelegt oder irgendwo anders hin gebunden und ich muss ihn finden. Aber er ist nicht da, hier ist kein Faden, nirgends. Ich fühle mich verraten, das ist Verrat, ich dachte wir wären Freunde. Er zieht die Fäden hinter sich her, er hat die Fäden und ich suche sie, ich finde sie, und so folge ich ihm. Die Fäden sind die Brücke, die Kette die mich an ihn bindet. Aber jetzt nichtmehr. Wenn er mich einfach verrät, na dem wird es Leid tun, ich habe an ihn geglaubt, ich war sein bester Freund. Doch unser Band bricht, die letzten Stricke zwischen uns reißen. Außer eins, ja, ich werde ihm den Strick zeigen, der nicht reißt. Und er wird jedes einzelne Glied wieder erkennen.
Ich muss nur vor ihm daheim sein.
Seit über einen Jahr ist es das erste Mal, dass ich vorausgehe und nicht folge, das erste Mal, in dem er mich nicht hinter sich her zieht. Ich bin kein Freund mehr, kein Verfolger, ich bin der Jäger der voraus geht um die Falle zu stellen.
In seiner Wohnung ist es still und dunkel. So habe ich sie noch nie gesehen, immer schon war er vor mir hier. Und hier ich stelle ich seine Falle. Gut sichtbar im Raum binde ich mir das Seil von den Hüften, seine Strip-Show und er verpasst sie, Schade. Und befestige es an einem der Deckenbalken.
Ich werde ihm zeigen, was sein Verrat bedeutet. Das erste Mal, dass er mich sehen wird. Mein Gesicht erkennt und die Fratze der Wut, Angst, Verzweiflung und des Schmerzes zu sehen. Ich werde sein Gewissen zu Grunde bringen, die roten Fäden werden seinen Willen an mich binden, sodass er ihn verliert. Ich werde seine Brücke des Verstandes, die über den Fluss des Wahnsinns fließt, zum Einsturz bringen, so wie er unsere Brücke zum Einsturz brachte. Ja, ich merke eindeutig, dass es zu Ende geht, ich werde metaphorisch. Aber ohne Sauerstoff kann ich nur schwer denken, das Atmen fällt mir schon schwer.
Und das Seil ist zu dünn, langsam schneidet es mir in den Hals, ein brennender Schmerz, gut gut, das soll er alles sehen, was er mir angetan hat, er soll es sich bewusst machen.
Ich merke das Pochen am Hals und wie mit jedem Schlag mehr Blut aus der Wunde läuft, in die roten Fäden, das rote Seil hinein. Und ganz langsam wird der Strick dunkler.
Mein letzter Atemzug, die Augen bleiben geöffnet, der letzte Gedanke und mein Körper erstarrt.