Donnerstag, 24. Dezember 2015

Teil 1 - Meine alternative Weihnachtszeit

Dieser fantastische Text ist aus der Feder von Karobube & AliceUnknown entstanden!

Die Henkel der Einkaufstüte schneiden mit in die eingefrorenen Finger und ich kneife die Augen leicht zusammen, als würde ich wie ein tapferer Held die letzten Meter einer tagelangen Reise meistern. Und so ähnlich war es ja auch. Die Straßen sind vereist und die ganzen Leute auf dem Weihnachtsmarkt, welche dir Jesus Christus als den Retter preisen abzuschütteln, war auch ein Meisterstück.
Die alte Frau im Fenster starrt mich schon wieder an, als hätte ich mir die schlimmsten aller Gräueltaten erlaubt. Manchmal träume ich nachts davon, sie würde eines Tages tot in ihrem Fenster sitzen und mich nicht immerzu so anstarren. Ich lächele sie an, während ich mir die Träume in Erinnerung rufe und sie starrte zurück. Ein leises Miauen ertönt, doch ich achte nicht darauf, bis ich plötzlich den Boden unter den Füßen verliere und auf den kalten Pflastersteinen aufpralle. Alle Einkäufe verteilen sich vor meinen Augen auf der Straße, während die Katze, die mir vor die Beine gelaufen war, sich fauchend verzieht. Die Alte am Fenster verzieht ihre dünnen, knittrigen Lippen zu einem Lächeln.
Es ist nun das erste Mal, dass mich mein nächtlicher Traum auch tagsüber verfolgt : Wie sehr ich mir gerade wünsche, dass das Lächeln der Alten einfach einfriert, passt schließlich zur Kälte, und es würde kein Leben anstatt Hohn aus ihren Augen herüberstarren. Manchmal versüßen einem die schrecklichsten Tagträume die hellen Stunden.
Aufstehen muss ich trotzdem. Und die Alte ist gewiss nicht die einzige, die innerlich über mich lacht. Aber was interessieren mich die Anderen? Sie interessieren mich genauso viel wie der Tiefkühlspinat, der auf der Straße liegt, nunja, eigentlich interessieren sie mich weniger als Tiefkühlspinat, denn den Tiefkühlspinat muss ich jetzt nochmal kaufen. Also wieder hinein in Love-Parade ähnliche Zustände im Discounter um am Ende wegen einem Paket Tiefkühlspinat eine halbe Stunde an völlig uberfüllten Kassen anzustehen. Was ist nur los mit den Menschen? Erst lachen sie mich aus, sie lachen nicht laut, aber bestimmt lachen sie über mich, und sie lassen mich eh nicht vor, obwohl ich nur eine einzige Sache und das Geld schon abgezählt in der Hand habe. Und da heißt es Weihnachten wäre das Fest der Liebe, der Nächstenliebe, aber ein Scheiß, es denkt doch eh jeder nur an sich selbst.
Ich höre sie praktisch immernoch lachen, anstatt mir einfach zu helfen, meine verteilten Einkäufe aufzusammeln.
Der Spinat ist schnell bezahlt, die Kaugummi kauende Verkäuferin vollkommen entnervt und ich ebenfalls. Jetzt den ganzen Weg nochmal. Ich könnte heulen. Meine Finger fühlen sich an, als würden sie gleich abfallen, aber damit sollen sie gefälligst warten, bis ich Zuhause bin, damit sich der Inhalt der Plastiktüte nicht wieder auf der Straße verteilt. Ich beiße also die Zähne zusammen und stelle einfach einen Fuß vor den anderen, bis ich fast da bin, immer wieder, bis ich stehen bleibe und mit dem ersten schönen Ausblick an diesem Tag belohnt werde. Die junge, hübsche Nachbarin Sylvia vor ihrer Haustür, die gerade einen neuen Tannenkranz anbringt. Als sie mich erblickt, lächelte sie strahlend und winkte. Ich winke zurück und spüre in mir die Weihnachtsstimmung erblühen. Plötzlich ist alles wieder gut, es würde ein herrlicher Winter werden, dessen bin ich mir nun sicher. Ein paar Sekunden später öffnet sich die Haustür und ein großer Mann packt Sylvia mit seinen Pranken an den Hüften, um sie an sich zu zerren und sie zu küssen. Jetzt sieht sie noch glücklicher aus als zuvor und ich nicht. Vielleicht würde mich auch dieser unbekannte Mann in meinen Träumen besuchen, wenn ich ihn noch öfter zu Gesicht bekommen muss.
Wie schnell einem die Weihnachtsstimmung doch flöten gehen kann. Bei dem Gedanken, dass doch jetzt die Kindergartenkinder hier aus dem Stadtteil auf großer Weihnachts-Tournee sind und ihre Betreuerinnen mit Instrumenten, unter anderem Flöten, sie dabei begleiten, muss ich fast wieder lachen, zumindest huscht ein Grinsen in mein erfrorenes Gesicht, weil es ein zu großer Schlag ins Gesicht vom Schicksal wäre. Haha, die Weihnachtsstimmung geht Flöten, sehr lustig.
Ich glaube, ich grinse mehr aus Verzweiflung, als wegen meinem pseudolustigen Gedanken. Vielleicht ist ja eine hübsche Betreuerin dabei, aus dem Grinsen wird ein Lächeln. Und jetzt weiß ich es genau : Es ist eindeutig die Verzweiflung.
Ich gehe die letzte Meter auf meine Haustür zu und wäre dabei fast ausgerutscht, kann mich aber noch halten. Als ich nach meinem Schlüssel in der Hosentasche krame, denke ich an die Treppen, die ich jetzt noch laufen muss. Vielleicht wären sie leichter zu bewältigen, wenn ich ein anderes Ziel hätte, als das, was mich dort oben in meiner Wohnung erwartet. Während ich den Schlüssel in meiner anderen Tasche suche, summe ich leise und sehr unmelodisch Last Christmas, ohne es überhaupt zu realisieren. Schließlich habe ich das klimpernde Ding, welches sich in meinen kalten Fingern schon nahezu warm anfühlt, und schließe die Tür zum Treppenhaus auf. Das kostet mich natürlich mal wieder einiges an Anläufen. Türen aufschließen ist eine Kunst an sich.
Doch hinter der eigentlichen Kunst verbirgt sich viel mehr. Denn den Schlüssel halten und führen und die Tür öffnen war nicht die ganze Aufgabe, sondern das ganze mit steifgefrorenen Fingern und vollen Händen zu tun, das ist die wahre Kunst. In solchen Momenten sehe ich mich als feinmotorisches Genie, an der Grenze zwischen und Kunst und Mythos, aber natürlich würdigt mich kein Schwein dieser Kunst. Mit Nasenbluten auf eine Leinwand niesen ist heutzutage Kunst mit Milliardenbeträgen, oder einfach nur eine blaue Leinwand, wow, das ist so kreativ. Das schaff ich mit Paint am PC und mit irgendeiner online-Poster-Druckerei auch. Aber für meine Kunst am Schlüssel gibt es nichtmal einen müden Cent.
Apropos steifgefroren, der Spinat, der an der Kasse beim Auftauen einen Ozean ausschwitzte, dürfte mittlerweile auch wieder tiefgefroren sein. Bin ich froh, wenn ich jetzt mein Essen fertig habe um mir den Hunger zu stillen.
Meine Schritte führen die Treppe nach oben. Wie viele Stufen es genau sind, weiß ich nicht genau. Mein ganzes Leben lang wohne ich hier schon und immer, wenn ich versucht habe, die Stufen zu zählen, bin ich abgedriftet, wegen irgendwelchen Dreckflecken oder Rissen an der Wand, die mich vollkommen in ihren Bann gezogen hatten. So wie auch jetzt. Es lenkte mich von den Schmerzen in meinen Fingern ab, welche immer noch nicht aufgetaut waren, da das Treppenhaus nicht viel wärmer war als draußen. Schließlich stand ich vor der Tür und starrte sie an. Zehn Sekunden lang starrte ich auf die Tür und überlegte mir, was wäre, wenn ich einfach wieder nach unten gehen würde, zu der hübschen Betreuerin und mit ihr durchbrennen würde. Einfach so. Es würde alles besser machen, da war ich mir sicher. Vielleicht würden wir Kinder haben, vielleicht zehn Kinder. Obwohl ich eigentlich gar keine Kinder haben wollte, doch für sie würde ich sicherlich eine Ausnahme machen und es ohne Kondom pobieren.
Kondome! Mist, ich habe vergessen Kondome zu kaufen. Nicht, dass ich sie brauchen würde, aber man weiß ja nie, hübsche Betreuerin, Sylvia zum Beispiel. Ach komm, ich muss diese Betreuerin aus dem Kopf kriegen, sie ist doch eh nicht da, manche Tagträume sind zu schön um wahr zu sein, und wenn man sich dann daran erinnert, dass sie nicht wahr sind, dann macht das einen traurig. Die Alte lebt noch und sollte es eine Betreuerin geben, dann ist sie bestimmt hässlich, 2:0 für die Verzweiflung.
Themawechsel, Gott, ich ertränke mich ja noch selbst in den Abgründen meines Selbstmitleids. Dabei bin ich doch der DaVinci unserer Zeit, Picasso und Mozart in einem, und so begrüße ich Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, welche Damen und Herren ?, und so begrüße ich mich selbst zu meinem wohl größten Kunststück, das zweite Mal in Folge, die halben Strecke von Vier Gewinnt!, ich begrüße die Begeisterung und warte euphorisch die Kunst der Meisterschlüsselbeherrschung an meiner Wohnungstür bewundern zu dürfen.
Es ist garantiert keine fröhliche Weihnachtsstimmung, sondern das Extrem einer viel schrägeren Laune, wie das Lachen, wenn man einen weinenden Clown kitzelt.
Die Haustür öffnet sich mit einem leisen Knarzen, als ich sie aufdrücke und schließt sich mit eben jenem wieder, nachdem ich sie hinter mir wieder zurück in die Angeln befördere. Den Schlüssel klatsche ich auf die uralte Kommode neben den Kleiderhaken an der Wand des engen Flures. Das erste, was ich hörte, ist die Stille. Wunderbare Stille. Ich schließe die Augen und lausche, doch im nächsten Moment wird die Luft von einem lautstarken Schnarchen zersägt und ich zucke zusammen.
Denn ich weiß, was dieses Schnarchen bedeutet. Der Typ meiner Mutter ist da. Wie ich ihn hasse, Dreckskerl. Arbeitsloser fauler Sack, dreckige Made, Schmarotzer und Parasit. Pennt hier den lieben langen Tag, während meine Mutter arbeiten ist und ich mich durch die Kälte quäle. Und wenn ich jetzt anfange zu kochen, dann wird er wach und will bestimmt wieder was ab haben. Es ist so kotzreizanregend ihn beim Essen zu sehen. Wie ich ihn hasse. Er wird aufwachen und mies gelaunt, verkatert und untervögelt sein, denn meine Mutter ist nicht die Hure, für die er sie hält. Zu seinem scheiß Verhalten und Alkoholproblem mischen sich mehr als häufig Aggressionen mit ein, wenn er mich sieht. Dann wird er wieder mein Essen in sich stopfen und danach auf mich einschlagen. Ich will nicht wieder geschlagen werden. Vielleicht wende ich das Blatt und koche erst später. Mama ist nicht da und er schläft, eine seltene Gelegenheit.
Ich danke den Ärzten für einen Ohrwurm, der mich jetzt gerade begleitet, und mir Worte weist, auf die zu kommen ich viel zu aufgewühlt wäre. "Ich bin nicht stark und ich bin kein Held, doch was zu viel ist, ist zu viel. Für deine Aggressionen war ich immer das Ventil. ... Wie geht der Text weiter ? .. Mh.. Gewalt erzeugt Gegengewalt, hat man dir das nicht erklärt, oder hast du da auch wie so oft einmal nicht genau zu gehört ? Jetzt stehst du vor mir und wir sind ganz allein. Keiner kann dir helfen, keiner steht dir bei. Ich schlag nur noch auf dich ein. Immer mitten in die Fresse rein."
Direkt nach dem Aufwachen ist er noch zu benommen vom Schlaf, um ihm Anzeichen des Schmerzes anzusehen. Doch nach dem zweiten Schlag funkeln mich Dummheit, Aggressivität, Abscheu und Ungläubigkeit aus seinen Augen an, während zwischen seinen Zähnen das erste Blut zum Vorschein kommt. Ich gebe ihm keine Chance aufzustehen, sich zu wehren. Es ist keine Feigheit, es ist Überlegenheit, David schlägt Goliath, die Schere den Stein. Ich denke nicht nach was ich tue, es ist selten, dass ich mal nicht dauerhaft am Grübeln bin, doch jetzt herrschen in meinem Kopf die niedersten Triebe und meine Fäuste entfesseln einen Rachehagel.
Er liegt genauso da wie am Anfang. Nur schnarcht er jetzt nichtmehr. Und seine Zähne haben jetzt lustige Winkel. Alles in allem sieht er recht komisch aus, wie er so da liegt, Blut überall im Gesicht und mit hässlichen Flecken dort, wo ihn meine Fäuste getroffen haben.
Warum kann er nicht immer so friedlich sein, wie er jetzt bewusstlos da liegt.
Ich weiß, dass es eine Verzweiflungstat war. Ein krönender Abschluss dieses Tages. Ich sollte heute besser nicht mehr vor die Tür gehen. Doch wenn ich hier bleibe, muss ich Mama erklären, was eigentlich passiert ist.
Kaum sind die primitiven Instinkte nicht mehr dominant, denke ich wieder zu viel. Egal jetzt, ich zerbreche mir später den Kopf um darüber  nachzudenken, ich habe Hunger und keinen Widersacher mehr, der mir mein Essen streitig machen kann.
Was habe ich überhaupt eingekauft? Mamas Einkaufsliste zufolge natürlich nur Bio und kein Fleisch, so wie sie es immer liebt, obwohl sie meist nicht Zuhause isst. Und ich habe natürlich wieder mal nicht daran gedacht, mir etwas anderes zu besorgen. Mein Blick fällt wieder auf den Mann auf meiner Couch und ich lege den Kopf leicht schief. Meine Mama musse gar nichts merken. Zumindest noch nichts. Mein Magen brummt.
So langsam muss ich mich also in dir Küche stellen. Aber was soll ich nur kochen aus dem, was ich habe ? Ich weiß es, einen Nudeln-Spinat-Auflauf. Ein Auflauf wäre jetzt genau das richtige, um mich wieder aufzuwärmen.
Und nach gefühlt stundenlanger Arbeit auch noch das andere Gemüse klein zu schneiden, ist er jetzt endlich im Ofen. Ich liebe es ja mich vor den Ofen auf den Boden zu setzen und durch die vergilbte Scheibe zu beobachten, wie langsam etwas darin backt. Die Käseschicht oben drauf schmilzt und wird dann dunkel und verkrastet. Der Auflauf schlägt oben kleine Bläschen und die aufsteigende Luft an manchen Stücken zieht kleine Karotten- oder Paprikastücken mit, die versuchen sich durch die Käsemauer zu befreien.
Mein Kopf sackt ein wenig auf die Seite und ich beobachte fasziniert das Schauspiel. Der Duft steigt mir in die Nase und ich ziehe die Luft genüsslich ein. Als sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter legt, fahre ich zusammen und verschlucke mich. Ist Mama etwa schon da?! Doch als ich mich umdrehe, höre ich schon das Geräusch. Ein heiseres, gurgelndes Knurren und mir wird heiß. Ich sehe direkt in das Gesicht des Freundes meiner Mutter. Es ist so leblos wie zuvor, keine Wut ist darin zu lesen, wie sonst immer. Nur jetzt mit dem Unterschied, dass er sich bewegt. Kein Schrei kommt aus meinem Mund raus, obwohl er sich öffnet, fast so weit, dass meine Mundwinkel wehtun. Ich springe auf, greife hinter mich und bekomme das Nudelholz zu fassen. Jetzt bin ich mir sicher: Ich bin in eine Zombieapokalypse geraten! Ich werde der mutige Held sein und alle schönen Frauen vor den widerlichen Viechern retten. Während mir diese euphorischen Gedanken durch den Kopf gehen, schlage ich zum zweiten Mal wie ein Wilder auf den Mann, oder besser gesagt dem Zombie, vor mir ein, dränge ihn zurück, bis zu dem Kleiderschrank im Zimmer meiner Mutter, dessen Tür auf ist. Der Zombie stolpert und fällt in das Durcheinander von Klamotten. Ich mache die Tür zu. Stille. Vollkommene Stille. Er bewegt sich nicht mehr. Habe ich ihn etwa erledigt? Vorsichtig, das Nudelholz erhoben, öffne ich die Tür zu dem Schrank und gucke vorsichtig hinein. Doch da ist nichts. Kein Zombie. Und auch, als ich weiterkrame finde ich nur Unterwäsche von meiner Mutter, die ich eigentlich nie zu Gesicht bekommen wollte.

Sonntag, 6. Dezember 2015

Bleicher Herbst

Vor ihm liegt nur der Wald. Ein Sandweg zu seinen Füßen, der in eben diesen Wald aus hohen Bäumen, mit Stämmen umhüllt von dunkler Rinde und mit einer feuerroten Blätterkrone, führt. Es ist Herbst, und während Aaron vor dem Eingang des Waldes still und unbewegt schon eine gefühlte Ewigkeit steht, werden einzelne Blätter vom Wind fortgetragen. Ein Spektakel wie farbenfroher Regen, dem man stundenlang zuschauen könnte. Und vor diesem Wald stehend, von fallenden Blättern umgeben und auf einer Stelle verharrend, fragt er sich, was er hier eigentlich sehen soll ? Denn all das sieht er nicht.


 



 
 
 
 Nie hat er ein Blatt in herbstlichen Farben gesehen, oder ein Blatt in sommerlichem Grün, oder gar eine Knospe. Aaron hat immer nur die Anderen sagen hören, wie schön das aussieht und dass man so etwas einfach mal gesehen haben muss.
Also wieso steht er hier ?
Aaron steht nun schon eine gefühlte Ewigkeit hier. Er spürt den Wind, der ihm ins Gesicht und durch die Haare weht, und natürlich merkt er es auch, wenn eines der vielen bunten Blätter gegen ihn geweht wird. Nur weiß er dann nicht, welche Farbe ihn gerade getroffen hat.
Ob grün, gelb, rot oder ein verdorrtes Braun. Aber ist das überhaupt wichtig ? Er weiß, dass es ein Blatt war, das ihn getroffen hat, denn das kann er fühlen, nur die Farbe sieht er nicht.Da er noch nie diese Farben gesehen hat, vermisst er sie auch nicht. 



 
In schlaflosen Nächten, wenn ihn die Langeweile und seine Gedanken wach halten, hat er schon oft über so etwas nachgedacht. Hätte er einst ein Augenlicht besessen, hätte er also schonmal diese Farben gesehen, auch wenn er im Laufe der Zeit vergessen hätte, wie sie aussehen, dann, so ist er sich sicher, würde er sie jetzt vermissen. Aber einen Blinden interessieren Farben nicht, egal wie schön sie sein sollen.
Ein weiteres Blatt wid gegen ihn geweht als der Wind zu nimmt, es schlägt ihm ins Gesicht. Aaron löst sich aus seiner Starre, hat doch eh keinen Sinn weiter dort zu stehen, wo er nichts sehen kann, und folgt dem Sandweg in den Wald hinein. Kaum ist er an den ersten Bäumen vorbei spürt er schon wie hier der Wind nur viel schwächer durchkommt. Oder wie er es nennen würde, er sieht, dass der Wind hier im Wald schwächer ist. Er sieht auch die vielen Pflanzen, die schon auf den ersten Metern den Wegrand säumen. Nun er sieht sie nicht wirklich, aber es ist seine Auffassung von Sehen, er nimmt sie wahr, und wo andere sie mit den Augen wahrnehmen, da nimmt er sie einfach wahr, ist doch egal wie, also Sehen. Er sieht auch den See, der im Wald in relativer Nähe liegt, denn er stinkt ganz schön. Aaron macht sich auf zu diesem See, weit kann es ja nicht sein. Solange er den Waldwegen und seiner Wahrnehmung folgt, wird er ihn schon finden. Er spürt, wie der Sand unter seinen Schritten einsackt und hört das Knirschen, und mit den Händen immer am Wegrand das Gebüsch streifend, weiß er auch wann er eine Kreuzung gefunden hat. So kommt er schon nach kurzer Dauer am See an, wo er sich erstmal auf eine Bank setzt, die er direkt davor mit seinem Schienbein gesehen hat, und sich sein Schienbein reibt. In der Senke des Sees ist auch fast kein Wind zu spüren, muss er wohl aus der Richtung kommen, wo in Aarons Rücken die Bäume dicht beieinander stehen.
Aaron tastet vorsichtig auf dem Boden und findet nichts außer Sand und ein paar kleine Wurzeln, der Sträucher hinter der Bank, bis er einen Stein findet. Keinen runden, einen eckigen, kantigen Stein, mit spitzen Ecken und scharfen Kanten. Im Sitzen hebt er den Stein hinter den Kopf und spant seine Muskeln, dann atmet er einmal tief aus und wieder teif ein und wirft dann den Stein in einem hohen Bogen.
Aaron hört das Plätschern, als der Stein die Wasseroberfläche trifft und hört Flügelschläge, wo aufgeschreckte Vögel hektisch davon fliegen. Er sieht die Kreise, die sich von dem Stein weg langsam über das Wasser bewegen.

Mittwoch, 2. Dezember 2015

Naturschau

Blitze im Himmel und Stürme auf See,
Trockene Luft und Beben an Land,
Hungrige Tiere in Rudeln zu sehn
Pflanzen sprießen auf giftigem Sand.

Naturschau selbst in dunkeln Kellern,
Reiner als Wasser aus frischen Quellen,
Wunschprojektion treibt den quälenden Geist,
Der die Natur zwar kennt doch von ihr nichts weiß.
Der Mensch ist kein Schöpfer und auch nicht ihr Herr !